Es weihnachtet sehr
Es wird Weihnachten! Mein Haus riecht schon nach braunen Kuchen -
versteht sich, nach Mutters Rezept - und ich sitze so zu sagen schon
seit einer Woche im Scheine des Tannenbaums.
Ja, wie ich den Nagel meines Daumens besehe, so ist auch der schon
halbwegs vergoldet. Denn ich arbeite jetzt Abends nur in Schaumgold,
Knittergold und bunten Bonbonpapieren; und während ich Netze
schneide und Tannen- und Fichtenäpfel vergolde, und die Frauen, d.h.
meine Frau und Röschen, Lisbeth's Puppe ausputzen, liest Onkel Otto
uns die "Klausenburg" von Tieck vor, oder gibt hin und wieder eine
Probe aus den Bilderbüchern, die Hans und Ernst auf den Teller
gelegt werden sollen.
Gestern Abend habe ich sogar Mandeln und Zitronat für die
Weihnachtskuchen schneiden helfen, auch Kardamon dazu gestoßen und
Hirschhornsalz. Den Vormittag war ich stundenlang auf den Bergen in
den Wäldern herumgeklettert um die Tannenäpfel zu suchen. Ja, Ihr
hättet mich sogar in meinem dicken Winter-Sürtout hoch oben in einer
Tannenspitze sehen können. Freilich hatte ich mich vorher gehörig
umgesehen; denn der Herr Kreisrichter durfte sich doch nicht auf
einem ganz offenbaren Waldfrevel ertappen lassen.
Jeden Morgen, die letzten Tage, kommt der Postbote und bringt
Päckchen oder einen Brief aus der Heimat oder aus der Fremde von
Freunden. Die Weihnachtszeit ist doch noch gerade so schön wie sie
in meinen Kinderjahren war.
Wenn nur noch der Schnee kommen wollte; wir wohnen hier so schön, da
müsste der Weihnachtsbaum, wenn er erst brennt, prächtig in die
Winterlandschaft hinausleuchten.
Ein von Brief Theodor Storm (1817-1888) an seine Eltern vom 20.
Dezember 1856